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Ehrlich währt am längsten...

Tag der Ehrlichkeit... Ich muss zugeben, dieses Thema überfordert mich heute ein bisschen. Sicher Ehrlichkeit ist wichtig und währt in den meisten Fällen wirklich am längsten - auf jeden Fall, wenn es um die Körpergröße geht, denn Lügen haben bekanntlich kurze Beine. Aber wenn wir heute mal ganz ehrlich sind, dann kommt wahrscheinlich niemand von uns ganz ohne Lügen aus. Schließlich schützen sie andere, aber auch uns selbst. Wer permanent hundertprozentig ehrlich ist, macht sich auf Dauer wahrscheinlich wenige Freund*innen. Stellt euch nur mal vor, ihr seid bei einem Freund zum Essen eingeladen und dieser kann partout nicht kochen, das Essen schmeckt scheußlich, aber er ist total stolz darauf. Wer würde ihm schon ins Gesicht sagen, dass das Essen nicht schmeckt? Oder wer würde einer Bekannten, die man auf der Straße trifft offen und ehrlich vor den Latz knallen, dass man jetzt einfach keine Lust auf belanglosen Small Talk mit einer Person, die man noch nicht mal leiden kann, halten möchte. Ich bin mir sicher, fast keine*r würde sich das trauen, weil wir von Kind auf (im Optimalfall) dieses Verhalten erlernt haben und uns gemeinhin mit durchgehender, schonungsloser Ehrlichkeit zum Außenseiter machen würden. In diesem Fall muss man das Sprichwort vielleicht anders lesen - nämlich in jenem Maß, dass Ehrlichkeit beim Gegenüber am längsten währt. Ich glaube, der Freund, der nun weiß, dass er nicht kochen kann und die Bekannte, die zu Ohren bekommen hat, dass man sie eigentlich nicht leiden kann, werden diese ehrlichen Worte nicht nach ein paar Sekunden vergessen. In diesem Sinne dürfen wir vielleicht Lügen gar nicht so stark verteufeln, wie wir es nach Außen hin oft tun.

Aber kommen wir zu schöneren Themen. Ehrlichkeit kann auch echt befreiend und mutig sein. Zum Beispiel, wenn man, statt zu versuchen, sich irgendwie durchzumogeln, einfach zugibt, dass man etwas nicht verstanden hat und Hilfe braucht. Oder aber, wenn man Mist gebaut hat und dafür gerade steht. "Ehrlich währt am längsten!" Vielleicht sollte man dieses Sprichwort auch einfach auf sich selbst beziehen. Wenn man in den richtigen Momenten vor den richtigen Menschen zwei Sekunden lang mutig ist und ehrlich heraussagt, was man gerade denkt, dann können diese zwei Sekunden einen großen Teil des eigenen Lebens verändern. Doch wie schon gesagt, Ehrlichkeit erfordert Mut und der Mensch ist nicht unbedingt von Natur aus das mutigste Wesen - immerhin sind wir Fluchttiere. Aber ich betone es immer wieder und finde es auch an dieser Stelle angemessen: Der Mensch ist das einzige Lebewesen, von welchem bekannt ist, dass es sich selbst und seine Handlungen hinterfragen kann. Das einzige Wesen, das mit seinen Instinkten brechen und seine Rolle im Spiel der Natur selbst bestimmen kann. Also nehmen wir uns das doch öfter zu Herzen und trauen uns, für einige wenige Minuten in unserem Leben der nackten Wahrheit ins Gesicht zu schauen und nicht alles auf die Goldwaage zu legen, bevor wir es aussprechen. Wer weiß, vielleicht entsteht so ja etwas Großartiges?

Immerhin hat ein Mensch, der erkennt, dass er komplett unmusikalisch ist und trotz etlicher Klavierstunden nicht zu Beethoven, Mozart, Chopin oder Lang Lang wird, so viel mehr Zeit und Ressourcen, die er anderweitig in etwas viel Passenderes und Erfüllenderes stecken kann. 

Wo wir jetzt schon von Musik sprechen, kann ich auch schnell anmerken, dass heute Tag des Jazz ist. Und ich habe in meiner Pianistenaufzählung keinen einzigen Jazzpianisten genannt... Naja, meistens sind diese ja gar nicht bekannt, zumal der Jazz auch eher zu einer aussterbenden Musikart gehört. Ich muss zugeben, ich habe nicht sonderlich viel Erfahrung, was den Jazz betrifft. Außer der Musik von "La La Land" höre ich nicht unbedingt Jazzmusik und obwohl ich selbst Klavier spiele und es etliche Stücke für dieses Instrument gibt, habe ich mich diesem Stil etwas verweigert. Versteht mich nicht falsch, ich finde Jazz großartig. Große Big Bands, kleine Kombos, das virtuose Spiel, den Walking Bass, all das sind Dinge, die ich total faszinierend finde und ich bewundere alle Musiker*innen, die darin ihre Leidenschaft finden. Ich glaube nur, dass man zum Jazz einen anderen Zugang zur Musik braucht. Man muss die Virtuosität, ja, fast das Chaos lieben und selbstbewusst mit den improvisierten Klavierteilen der Trompete oder dem Saxophon den Schneit abkaufen, um dann im richtigen Moment wieder im Hintergrund zu verschwinden und die anderen Musiker*innen bei ihren Soli zu unterstützen. Keine Frage, das ist schwierig und absolut bewundernswert, aber ich mag nun mal lieber arrangierte Stücke, die sich strukturiert aufbauen. 

Jazzmusik ist wie Großstädte, laut, durcheinander, stressig und gehetzt, doch gleichzeitig faszinierend, freiheitsstiftend und voller unterschiedlicher Reize und Menschen. Es gibt Menschen, die verlieben sich in Städte und blühen dort auf. Andere träumen von einem Leben auf dem Land - im Idyll der Natur, der Ruhe und der Gemütlichkeit. Die Allermeisten aber schätzen beides, die Langsamkeit der Natur und die Möglichkeiten der Stadt, vielleicht sollten wir ja auch die Musik so betrachten. Keine Frage, Jazz zu hören, ist anstrengend, man muss permanent dabei sein, um das Gefühl aufzunehmen und die Stücke zu verstehen. Vielleicht überfordert uns das in der heutigen schnelllebigen Zeit und wir möchten lieber gemütliche, sortierte und schnell verstandene Musik. Doch sollten wir den Jazz nicht von Anfang an als "Chaosmusik" abtun, sondern in ihm die Freiheiten und Möglichkeiten sehen, alles zu tun, was nur irgendwie denk- und machbar ist, mit ihm einfach mal für wenige Minuten aus unserem gewohnten Pop-/Rock-/Alternative-/Schlager-Musikmix ausbrechen und uns für die Dauer des Stückes neu erfinden.

Damit wünsche ich einen schönen freitagsmäßigen Donnerstag!  

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